Montag, 24. Oktober 2011

Soziale Verteidigung (aus der Zeit der atomaren Abschreckung)

Schon Alfred Nobel glaubte, mit seinem Dynamit die Voraussetzung für Waffen geschaffen zu haben, die jeden Krieg unmöglich machten. Angesichts der fürchterlichen Folgen dieser Waffen könne ihre Anwendung durch nichts mehr gerechtfertigt werden. - Er hat sich getäuscht. Immerhin reichte das Geld, das durch seine Erfindung einkam, aber zur Einrichtung des Nobelpreises, insbesondere des Friedensnobelpreises.

Heute ist die potentielle Zerstörungskraft unserer Waffen weit höher, als Alfred Nobel es auch nur ahnen konnte, und von neuem ist der Gedanke gekommen, diese Waffen seien so schrecklich, dass sie nun wirklich einen künftigen Krieg, in dem sie angewendet werden könnten, verhindern würden.

In der Geschichte der Kriege seit 1945 sieht man die Bestätigung: Kriege allüberall, nur nicht in Europa. Sie sind durch Abschreckung verhindert. So die Theorie.

Freilich hat die Theorie einen Schönheitsfehler: Anfang der sechziger Jahre entdeckten die amerikanischen Abschreckungsexperten, dass die bisherige Abschreckung, die angeblich schon über ein Jahrzehnt funktioniert hatte, nicht glaubwürdig sei. Wieso war es trotzdem nicht zum Krieg gekommen? War Abschreckung überhaupt nötig gewesen?

Dass man auf eine Besetzung Westberlins mit dem großen Atomschlag antworten und damit die Selbstvernichtung heraufbeschwö­ren werde, sei nicht glaubhaft. Folglich entwickelte man die Strategie der abgestuften Vergeltung ("flexible response”), die je nach Provokation angepasste Antworten vorsah, die nötigenfalls bis zum entschei­denden Schlag eskaliert werden konnten. Heute ist die Strategie weiterentwickelt worden. Um die Glaubwürdigkeit der Ab­schreckung zu erhöhen, hält man es inzwi­schen für nötig, sicherzustellen, dass man eine atomare Auseinandersetzung gewinnen kann. Der Atomkrieg soll führbar gemacht werden. Diesem Ziel dienen die "Cruise Missiles" und die Pershing-Raketen, die in Europa stationiert werden sollen. So antwortet denn auch der Erfinder der Neutronenbombe, Sam Cohen, auf die Frage, ob es einen Nuklearkrieg geben wird, mit einem einfachen "ja" (vgl. Die Zeit Nr. 8, 18.2.83, S.42).

Der Kreis schließt sich: Wirksame Abschreckung nur durch glaubwürdige Abschreckung; glaubwürdige Abschreckung nur, wenn man auch voll darauf eingestellt ist, einen Atomkrieg zu fuhren; darauf eingestellt sein kann man aber nur, wenn man auch reelle Chancen hat, ihn zu gewinnen.

Angesichts dieser Abschreckungslogik scheint es verständlich, dass auch andere ­ebenfalls unkonventionelle Wege der Abschreckung gesucht werden. Einer ist der der "Sozialen Verteidigung" (Civilian Defence). Die Abschreckungswirkung der Sozialen Verteidigung soll darin liegen, dass der Angreifer damit rechnen muss, im Fall der Besatzung eines Landes langfristig gegen die Bevölkerung arbeiten zu müssen, so dass kein wirtschaftlicher Nutzen aus der Beset­zung entsteht. Dies soll entweder durch passiven Widerstand wie Gehorsamsverweigerung, Boykottmaßnahmen, Sitzblockaden und Streiks erreicht werden oder - womöglich durch dynamische Weiterarbeit ohne Kollaboration, d h. - es müsste verhindert werden, dass der Besetzer sich die Produktionsergebnisse zu Nutze machen könnte (Diese wäre denkbar im gesamten Dienstleistungssektor). '

Diese Technik des "Zivilen Ungehorsams" wird von Theodor Ebert, einem führenden deutschen Verfechter der Sozialen Verteidigung, noch genauer begründet:

Zitat: "'Zivil' ist der Ungehorsam dann, wenn er - wie Gandhi im Februar 1922 nach misslichen Erfahrungen definierte - "höflich, wahrheitsliebend, bescheiden, klug, hart­näckig, doch wohlwollend, nie verbreche­risch und hasserfüllt" erfolgt. Bemerkenswertester Unterschied des zivilen Ungehorsams zur provokatorischen, potentiellen gewaltsamen Regelverletzung ist, dass sich die zivilen Ungehorsam Leistenden den Sanktionen ihrer Gegner auf keinen Fall gewaltsam widersetzen und sich ihnen - in der Regel - auch nicht durch Täuschung zu entziehen suchen.

Gewaltsame Kampftechniken, Notwehr und Täuschung werden abgelehnt, weil sie bei den Trägern der Aktion, ihren Gegnern und den Beobachtern unerwünschte Reaktio­nen auslösen. Die von Frantz Fanon behauptete emanzipatorische Wirkung der Gewalt­anwendung wird bestritten, da systematische Gewaltanwendung eine Befreiungsorganisa­tion zu hierarchischen Strukturen, zur Un­tergrundarbeit und zur Einübung in ein immer waches Mißtrauen zwingt und so nach dem Abschluß der Kampfhandlungen diktatorische Strukturen vorhanden sind. Gewaltanwendung wird ferner abgelehnt, weil sie bei einem mächtigen Gegner in der Regel zur Eskala­tion der gegenseitigen Gewaltanwendung und zur extremen Steigerung der Opfer führt. In einem gewaltfreien Verhalten wird keine Garantie für einen Repressionsverzicht des Gegners gesehen; man rechnet jedoch damit, daß aufs Ganze gesehen die Opfer eines Befreiungskampfes geringer sind, wenn selbst auf extrem gewaltsame Repression immer gewaltfrei geantwortet und so dem Gegner keine zusätzliche Legitimation für seine Unterdrückungsmaßnahmen geboten wird. (Der indische Unabhängigkeitskampf mit gewaltfreien Methoden kostete - einschließlich der englischen Reaktion auf vereinzelte indische Gewaltakte - etwa 8000 Menschenleben; der algerische Unabhängigkeitskrieg im Anschluß an die blutige Unterdrückung einer gewaltlosen Demonstration in Sétif im Mai 1945 kostete etwa 150 000 bis 200 000 Menschenleben, bei einer etwa dreißigmal kleineren Gesamtbevölkerung. ) Schließlich werden Gewaltmethoden abgelehnt, weil in an in den Gegnern nicht beati possedentes. sondern unfreie, sich selbst entfremdete Menschen sieht. Das gewaltfreie Verhalten soll hier die übergreifende Solidarität mit dem Gegner als Menschen zum Ausdruck bringen. " (Th. Ebert: "Stichwort: Gewaltfreie Aktion" in: Gewaltfreie Aktion, Vierteljahrsheft für Frieden und Gerechtigkeit, 1. Jahrg. Heft 1/82)

Beispiele für Aktionen dieser Art finden sich im Widerstand gegen den Kapp-Putsch 1920, gegen die Ruhrbesetzung 1923, gegen die deutsche Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkrieges in Dänemark und Norwegen, gegen die sowjetische Besetzung der CSSR 1968 und gegen das von der Sowjetunion gestützte Regime in Polen heute.

Diese Aktionen waren bei weitem nicht immer erfolgreich. Für viele Kritiker ist schon das der Beweis, daß Soziale Verteidigung nicht funktionieren kann. Dabei übersehen sie allerdings meist, daß auch 50% aller Kriege nicht erfolgreich ausgehen (nämlich für den Verlierer) und daß es sich bisher meist nur um improvisierte Aktionen handelte.

Gewisse Chancen auf Erfolg hätte Soziale Verteidigung, wenn sie gut vorbereitet würde, also wohl schon heute. Allerdings in der Tat, ihre Abschreckungswirkung - das sofortige Verschwinden aller Waffen auf seiten des Verteidigers und seiner Verbündeten vorausgesetzt - wäre zunächst wohl nur sehr begrenzt. - Aber ist das Grund genug, nicht einmal Schritte in diese Richtung zu tun?

Freilich: Wenn Soziale Verteidigung gut funktionieren soll, dann ist eines die Grundvoraussetzung: eine Gesellschaftsordnung, für die die überwältigende Mehrheit bereit ist, sich eventuell bis zum Einsatz des Lebens einzusetzen. Eine Gesellschaft, in der Millionen und wieder Millionen bereit sind, für die Verteidigung ihr Leben aufs Spiel zu setzen und jedenfalls äußerste Entbehrungen (im Fall eines Streiks in lebenswichtigen Sektoren) in Kauf zu nehmen - eine solche Gesellschaft gibt es nach Ansicht der Kritiker der Sozialen Verteidigung nicht, und es wird sie wohl auch nicht geben. Das mag sein. Nur ist gerade eine solche Gesellschaft auch die unbedingt notwendige Voraussetzung für jede - moralisch zu rechtfertigende - atomare Abschreckung.

Wie wir gesehen haben, setzt glaubwür­dige Abschreckung die Bereitschaft, im Zweifelsfall die Mittel auch wirklich einzusetzen, voraus. Atomare Abschreckung setzt also voraus, daß die Gesellschaft bereit ist, Millionen von Toten, die Zerstörung der Industrie und der Umwelt sowie unüber­sehbare Folgelasten für die folgenden Gene­rationen, im Ernstfall für die Verteidigung in Kauf zu nehmen. Wieso sollte sie glaubwürdig sein?

Wir alle wissen, weshalb: Soziale Vertei­digung setzt voraus, daß der einzelne im Ernstfall zu seiner Entscheidung steht; im Atomkrieg hat keiner mehr die Möglichkeit, sich für Überleben statt Verteidigung zu entscheiden. Das macht den Unterschied der Glaubwürdigkeit Sozialer Verteidigung und atomarer Abschreckung aus.

Sollen wir deshalb resignieren: Es gibt keine Alternative zur atomaren Abschreckung? oft schon in der Geschichte ermöglichten gesellschaftliche Veränderungen neue Kampfmethoden: die Schweizer Bauern gegen das deutsche Ritterheer; die Freiwilligenarmeen der französischen Revolution gegen die Armeen der absoluten Fürsten; spanische Guerillakämpfer gegen Napoleons Heer. Die bewährten Methoden versagten gegen einen Gegner, der besser wußte, wofür er kämpfte. Gegen einen Streik helfen keine Atomwaffen.

Soziale Verteidigung eine Utopie? Unbedingt. Aber atomare Abschreckungsstrategie als Alternative könnte den Weg zu ihr ebnen. jedenfalls für Christen – oder? (1983)

Vom utopischen Frieden

"Die Friedensbewegung ist ein gut gemeintes Unternehmen, aber leider illusionär und utopisch und daher für die praktische Politik gefährlich. " - Diese Ansicht ist oft zu hören und auch von wahrhaften Autoritäten wie etwa Carl Friedrich von Weizsäcker mit Nachdruck vertreten worden. Hat's dann noch Sinn, sich für eine chancenlose Sache einzusetzen?

Dazu ein Blick in die Geschichte der Friedensbewegung - weit zurück: Das Fehdewesen des Mittelalters ist heute fast nur noch dem Historiker verständlich. Wenn ein Adliger oder eine Stadt den Eindruck gewannen, es sei in ihr Recht eingegriffen worden, sagten sie dem Rechtsverletzer die Fehde an.

Es kam zu Überfällen, Geiselnahmen, nicht selten sogar zu Belagerung und völliger Niederwerfung des Gegners. Das war ein anerkannter Teil der Rechtsordnung. - Heute ist der Austrag von Rechtsstreitigkeiten im Krieg statt vor Gericht für Privatpersonen undenkbar. Wir kennen ihn nur noch von Verbrecherbanden und - von Staaten. Dabei war die Fehde seit Jahrhunderten eine anerkannte Institution, als kurz vor der Jahrtausendwende von einem südfranzösi­schen Kloster, Cluny, ausgehend eine Bewegung um sich griff, die ihre Abschaffung forderte: die Gottesfriedensbewegung. Zunächst waren es nur der Abt von Cluny und einige Gesinnungsgenossen, dann griffen mehr und mehr kirchliche Würdenträger den Gedanken auf, bis schließlich auch der Papst ihn übernahm: Friede unter allen Christen.

Man braucht nicht zu glauben, dass diese Bewegung sehr realistisch war. Sie konnte sich immer nur in beschränkten Gebieten Geltung verschaffen. Immer wieder wurde der Gottesfriede durchbrochen. Schließlich resignierte man und versuchte es mit Regelungen wie: eine halbe Woche Friede und eine halbe Woche Fehderecht und ähnlichem. Eine utopische Bewegung gescheitert. So musste es ihren Begründern erscheinen. Doch die Bewegung wurde vom Kaiser aufgegriffen, 1085 wurde der erste - befristete - Reichslandfrieden beschworen. Bis 1495 dauerte es, bis ein "Ewiger Landfriede" beschlossen wurde, bis endgültig aus fehdeführenden Rittern Raubritter wurden. 500 Jahre nach Anfang der Bewegung.

War die Bewegung deshalb utopisch?

Freilich, wir wissen, mit der Abschaffung der Fehde war nur ein kleiner Schritt getan. Knapp weitere 400 Jahre dauerte es, bis mit der Schaffung des zweiten deutschen Reiches (1871) nach vielen blutigen Kriegen auch den deutschen Fürsten untersagt war, untereinander Krieg zu führen. Etwa 75 Jahre dauerte es, bis nach noch weit schrecklicheren Kriegen 1945 in Europa Frieden einkehrte. - Nicht der Friede, den wir brauchen. (Vom wahren Frieden Gottes ­"höher als. alle Vernunft" - ganz zu schweigen!) Denn die Drohung mit dem atomaren Selbstmord darf nicht die letzte Antwort auf die Frage nach dem Frieden sein. Aber sie braucht es auch nicht. Denn es gibt Ansätze, zu einer anderen Friedensregelung zu kommen. Die Vereinten Nationen (UNO) tun zwar zaghafte Schritte, erfolgreicher als der Völkerbund sind sie immerhin. Die Soziale Verteidigung (Abschreckung eines Gegners ohne Waffen) ist noch nie erfolgreich erprobt worden, ähnliche Aktionen blieben 1968 in der Tschechoslowakei erfolglos; aber der indische Befreiungskampf unter Gandhi war ein Erfolg. Die Anti-Atomwaffenkampagne der 50er Jahre ist völlig gescheitert; die Kampagne der 80er Jahre hat Einfluss auf Wahlen, ja ihr wird sogar Einfluss auf internationale Verhandlungen nachgesagt. (Ein negativer natürlich, wenn man Reagan glaubt.)

Dürfen wir das alles als Utopie abtun, nur weil es keinen durchschlagenden Erfolg in­nerhalb der nächsten 30 Jahre verspricht? Dürfen wir unseren Einsatz verweigern, nur weil wir selbst das Ziel nicht erreichen werden? - 500 Jahre dauerte es bis zu dem ersten entscheidenden Erfolg der Gottesfriedensbewegung. (März 1983)

Problematik des Fortschrittdenkens

Während viele Kulturen in Kreisläufen denken, an die ewige Wiederkehr des prinzipiell Gleichen, kennt das Christentum einen Zielpunkt der Ge­schichte. Ob man dabei mehr das Jüngste Gericht oder das Kommen des Herrn im Blick hatte, ein Ende war vorgegeben. Mit Fortschritt im heutigen Sinne hatte das freilich wenig zu tun. Das Reich Gottes kommt - nach christlicher Überzeugung - nicht aufgrund menschlicher Anstrengungen, sondern von Gott. Erst im Zuge der Säkularisierung, im Kraftgefühl der Befreiung aus alten Bindungen entwickelt sich in der Renaissance und weitergehend in der Aufklärung der Fortschrittsgedanke. Und töricht wäre es, diesen Fortschritt zu leugnen. In den Naturwissenschaften, in der Fähigkeit, Naturvorgänge nach mathematischen Regeln zu beschreiben, und in der Technik, in der Möglichkeit, Natur­kräfte und -stoffe in den Dienst des Menschen zu stellen, hat es zweifellos einen Fortschritt gegeben. Und damit steht man in einer gut biblischen Tradition. Das 'Macht euch die Erde Untertan!' (l.Mose 1,28) ist von den Menschen erfüllt worden wie wohl kaum eine andere biblische Aufforderung.

Freilich, indem er die Erde zu seiner Sklavin machte, zerstörte der Mensch auch immer mehr ihre Fähigkeit, für sich selbst Vorsorge zu treffen. Er übernahm die Verantwortung, die Natur zu lenken, eine Verantwortung, von der wir heute wissen, dass er sie nicht tragen kann. Umweltschutz ist der Versuch, die Selbststeuerung der Natur wiederzugewinnen. Wir wissen nicht, ob die Tatsache, dass er so wenig Fortschritte macht, nicht vielleicht bedeutet, dass es schon zu spät ist. Die Rohstoffe sind nahezu erschöpft, und das Gleichgewicht der Natur ist erheblich gestört. Da kommt mit den Mikroprozessoren, mit dem Chip, mit dem Computer plötzlich die Chance, Produktivität zu erhöhen, ohne vermehrt Rohstoffe zu verheizen. Die Möglichkeit, Vorgänge berechenbar und damit beherrschbar zu machen, die vordem zu kompliziert dafür erschie­nen. Die Rettung. Freilich, schon beim ersten Problem, das er hervorruft, bei der Arbeits­losigkeit, versagt der Computer. Tausende von Problemen werden mit dem Computer wie spielerisch gelöst; aber die Arbeitslosigkeit zu verhindern, die er schafft, weil er viele Menschen als Problemlöser arbeitslos (redundant, d.h. scheinbar überflüssig) macht, diese Arbeitslosigkeit zu verhindern gelingt ihm nicht. Genauer gesagt: sie ist ein Problem, mit dem die Menschen nicht fertig werden, nicht trotz der Computerhilfe, sondern wegen ihr. Weil sie mit dem Computer nicht fertig werden.

Aber sonst hat er sich als unersetzlich herausgestellt. Ob bei der Bank, ob bei Behörden, der Computer ist immer dabei. Und der Computerfehler natürlich. Nicht immer so sinnlos wie bei der Einberufung von Babys und 101-jährigen zum Wehrdienst (einem simplen Fehler bei der Programmierung zuzuschreiben), manchmal auch unauf­fällig ("Wir haben ihre Überweisung als Bareinzahlung gebucht, weil das Zeichen Überweisung in unserem Computer nicht funktioniert."), nicht selten als Zusammenbruch des ganzen Systems. Bei der Börse z.B., wo dank Computer der Handel sich schneller abwickeln ließ, sich deshalb verviel­fachte und genau damit den Computer wieder überforderte, so dass alles zusammenbrach, oder auf dem Flughafen ("Due to a breakdown of the Computer System at the control tower the take off will be postponed.") Einzug gehalten hat er recht bald auf militärischem Gebiet. Ob die Atombombe nur durch den Computer ermöglicht wurde, ist strittig. Tatsache ist, dass dem Entwicklungsteam unter Oppenheimer ein - für damalige Verhältnisse - ungewöhnlich leistungsfähiger Computer zur Verfügung stand und dass heute Raketen wie Früh­warnsysteme computergesteuert sind. Auch hier gibt es eindrucksvolle Leistungen (wie die Versenkung einer britischen Fregatte durch eine kleine selbstgesteuerte Rakete im Falkland­krieg) und den Computerfehler. Wurde doch vom Zentralcomputer des Frühwarnsystems dem Pentagon gemeldet, russische Raketen seien im Anflug auf die USA. Und nur wenige Minuten, bevor die amerikanischen Raketen hätten abgeschossen werden müssen, stellte es sich heraus, dass versehentlich ein Übungsprogramm als Realität erschienen war. Damals konnte man den Fehler herausfinden. Heute sind die Zeiträume, innerhalb deren man reagieren muss, aus technischen Gründen drastisch verkürzt. Es heißt, deshalb hätten Amerikaner wie Russen die Kontrolle über den Raketenabschuss schon dem Computer übergeben. Und Computerfehler zu beseitigen, wenn sie ein­mal in ein Programm eingebaut sind, ist übrigens nach J. Weizenbaum, einem angesehenen amerikanischen Computer­spezialisten am MIT in Cambridge Mas­sachusetts, nicht mehr durch Ausmerzen aus dem Programm, sondern nur noch durch 'Flicken' möglich. Denn die großen Computersysteme sind heute auch von Experten nicht mehr zu durchschauen. (Eine Aussage, bei der - laut Weizenbaum - ihm noch nie ein Computerexperte widersprochen hat.) Aber warum immer von den Schwächen der Computer reden, reden wir doch einmal von ihren Leistungen! Und damit wären wir bei der Geschichte von der Erdnussbutter. (verfasst 1987)

Geschichte von der Erdnussbutter.

In den USA gibt es wie in Europa Akademikerarbeitslosigkeit. Besonders schlimm ist es aber mit dem akademi­schen Nachwuchs. Wem früher die Habilitation offen stand, für den ist es heute schwer, ein Promotionssti­pendium zu bekommen. Glücklicherweise gibt es nun aber in den USA eine Stiftung, die großzügige Promotions­stipendien vergibt, richtige Gehälter, von umgerechnet $ 10 000 im Jahr. Und außerdem arbeitet sie mit einem Institut zusammen, das hervorragende Arbeitsbedingungen bietet: großzügig ausgestattete Labors, die leistungs­fähigsten Computer. Natürlich fördert sie nur die begabtesten Studenten, Leute, die in einer normalen Studien­zeit zwei bis drei verschiedene Studien abschließen und nebenher noch Zeit zur Einarbeitung in Spezial­gebiete finden. Aber auch für den Begabtesten der Begabten sind solche Stipendien natürlich hochattraktiv. So auch für D., mit 23 Jahren bereits Absolvent zweier naturwissenschaftli­cher Studiengebiete, außerdem Spezia­list für Computer und Laser. Befreundet mit der Studentin E., mit der ihn das politische Engagement gegen die atomare Rüstung verbindet. - Das neue Institut, an dem er arbeitet, steht etwas abseits. Man kann sagen in der Wüste. Seine Freundin kann er nur noch an Wochenenden sehen, wenn überhaupt. Was er ihr vom Computer vorschwärmt, dem leistungsfähigsten, den er, der Computerexperte, je gese­hen hat, kann sie nicht verstehen. Ihre Frage: "Wofür arbeitest du denn?" kann er nicht verstehen, wo doch die Arbeit so hochinteressant und faszi­nierend ist. Doch antwortet er ihr und versucht ihr die Faszination des Computerprogramms, das er entwirft, klarzumachen. Sie versteht das Programm nicht, aber sie sieht, dass er fasziniert ist. Ihn interessiert ihre politische Arbeit nicht mehr so, das Programm, sein Programm, hat ihn gepackt. Wie Hunderte hochbegabter junger Wissenschaftler (meist unter 30) in diesem Institut lebt er ganz der Arbeit. Nur noch zum Essen verlässt er kurz den Computer. Schnell zum Kühlschrank, ein Brot mit Erdnussbutter bestrichen und weiter. Seine Freundin wird eifersüchtig - auf das Programm. Sie stellt fest, was er inzwischen auch weiß, dass das Institut ganz auf militärische Forschung ausgerichtet ist. Er arbeitet am Star-Wars-Programm (Strategig Defence Initiative - DSI). Sie stellt ihn zur Rede, erinnert ihn an ihre gemeinsamen politischen Über­zeugungen - von früher. Er spricht von der Faszination des Programms. Sie hadert mit ihm. Da gelingt ihm der Durchbruch. Der Superlaser, der Laser, der feindlichen Raketen vernichten kann! Er hat ihn erfunden. Präsident Reagan kann seine berühmte 'Star-Wars-Rede' halten. Und er - noch nicht dreißig - erhält höchste wissen­schaftliche Anerkennung. Wäre seine Erfindung nicht für das 'Star Wars-Programm', er erhielte sicher den Nobelpreis dafür. Die Geschichte - ein modernes Märchen - ist wirklich geschehen. Die E., seine Freundin, hat sie erzählt. Natürlich ist die Freundschaft jetzt zerbrochen. Doch nicht nur das ist es, was sie bekümmert: Die Höchstbegabten des ganzen Landes werden eingekauft, für £ 30.000 pro Stück, eigentlich ganz preiswert. Sie werden geködert mit dem faszinieren­den Supercomputer. Und benutzt für die Rüstungsindustrie.

Um die Arbeitslosigkeit, um den Umweltschutz, um die Dritte Welt mögen sich die Zweitklassigen kümmern. Unsere Elite gehört dem Computer und der Rüstung. Sie meinen, so leicht sei es nicht, Menschen einzukaufen? Sind Sie so sicher? Sind Sie jung, intelligent und computerbegeistert, mit Geld etwas verwöhnt, aber im Augenblick noch ohne Stellung? Etwa ein Viertel aller Wissenschaftler der Welt (manche Schätzungen liegen bei einem Drittel) arbeitet direkt oder indirekt an Rüstungsprojekten mit. "macht euch die Menschen untertan!" sagen die Rüstung und die Computer. Aber noch können wir uns wehren, wenn wir es wollen. (verfasst 1987)