Samstag, 26. Oktober 2013

Doppeljubiläum (von 1997)


Sie sind Zwillinge. Beide feiern ihren 125. Geburtstag.
Unsere Schule, vor 125 Jahren freilich noch eine höhere Töchterschule, Und sie, die damals nur das Projekt eines Lehrers war und erst 1901 amtlich wurde, Konrad Dudens "Deutsche Rechtschreibung ". 1872 erschien sein gleichnamiges Buch.
Sie sollte eine "demokratische Rechtschreibung" sein, leicht zu erlernen und den Bedürfnissen aller Volksschichten genügen. Damit setzte sich Duden von den Forderungen Jakob Grimms ab, der eine etymologische Rechtschreibung gefordert hatte, die die Herkunft der Wörter erkennen lasse.
Derselbe Streit um etymologische Korrektheit und leichtere Erlernbarkeit begleitete auch die jetzige Reform der Rechtschreibung aus Dudens Tagen: Eine wesentliche Reduktion der Rechtschreib- und Kommaregeln soll zukünftigen Schülern und Lehrern die Erarbeitung der Rechtschreibung leichter machen. Noch aber soll die neue Rechtschreibung an hessischen Schulen nicht gelehrt werden.

So wundere dich nicht, zukünftiger Leser, wenn du in dieser Festschrift die neuen Regeln nur in den letzten Absätzen dieses Textes befolgt siehst: Noch fällt es uns schwer behände die Kommas  vor erweiterten Infinitiven wegzulassen. Noch kommen wir uns belämmert vor, wenn wir die Gämse und das Känguru schreiben sollen. Doch freut es einen Lehrer wenn er " selbstständig  " und " Rad fahren " nicht mehr anzustreichen braucht, da bei diesen Wörtern leider schon seit vielen Jahren die meisten Schüler der Zeit voraus waren und die reformierte Schreibung schon vor der Reform anwandten.
Doch jetzt haben wir Jung und Alt genug von der neuen Schreibung geboten, möchten hier Halt machen und überlassen dem heutigen wie dem künftigen Leser zu raten, welche Schreibungen der hier vorliegenden Wörter erst nach der neuen Rechtschreibung zulässig sind und welche heute noch die Rechtschreibprüfungsprogramme der Computer Sturm laufen lassen.
Achtung! Auch diese Programme sind bei manchen Schreibweisen - aufgrund der ihnen innewohnenden Logik - schon heute auf dem Stand nach der Reform.

Aus den verschiedensten Gründen sind in diesen Blog auch einige Texte gelangt, die nicht von mir verfasst wurden (und zwar von Gustav Freytag und von Fritz Reuter, die beide meiner Meinung nach zu Unrecht fast vergessen sind). Deshalb soll endlich wieder ein Text von mir hier stehen. Er wurde 1997 für eine Schulfestschrift verfasst.

Frau Syndikus lässt reden (Reuter)

Frau Syndikus hat eine vorgefasste Meinung: Karl Hawermann ist schuldig. Aber sie hat dafür nicht sonderlich starke Argumente. So schickt sie zunächst eine gute Bekannte vor. Die wird von Fritz Reuter gleichsam vorgeführt:

" »Mein Gott«, rep de Teewirtin tauletzt, »was wissen Sie denn?« – »Die Krummhorn kann's erzählen«, säd de Syndikussen käuhl, »sie hat's ebensogut gesehen wie ich.« – De Krummhurn was 'ne gaude Fru un vertellte ok gaud un schafflich, äwer ehr Mundwark hadd den sülwigen Fehler, den den Protonotär Schäfer sine Bein hadden, 't würd mit ehr stüerlos, un grad as de Protonotär müßte sei af un an einen oder den annern tauraupen: »Holl mi wiß!« oder: »Dreih mi üm!« – Sei fung nu an: »Ja, er kam quer über den Markt her ...« – »Wer?« frog so'n oll lütten dämlichen Gerichtsakzesser, de sick ut de Sak noch nich vernemen kunn. – »Still!« rep allens. – »Also er kam quer über den Markt her, ich kannte ihn gleich wieder, er hat sich bei meinem Mann vordem einmal einen neuen Anzug gekauft, einen schwarzen Leibrock und eine blaue Hose – ih, was sag' ich! – einen blauen Leibrock und eine schwarze Hose; ich seh ihn noch wie heute, er trug immer gelblederne Beinkleider und Stulpenstiefel – oder war das Fritz Triddelfitz? – Das weiß ich doch wirklich nicht [482] mehr gewiß. – Ja, was wollte ich doch noch sagen?« – »Er kam quer über den Markt herüber«, säden en Stückener drei Stimmen. – »Richtig! Er kam quer über den Markt herüber und kam in die Frau Syndikus ihre Straße, ich war gerade bei der Frau Syndikus, denn die Frau Syndikus wollte mir ihre neuen Gardinen zeigen, sie sind von Jud' Hirschen – nein, ich weiß schon – von Jud' Bären, der neulich erst bankerott gemacht hat. Es ist merkwürdig; mein Mann sagt, alle unsere Juden machen bankerott und werden dadurch nur immer reicher, ein christlicher Kaufmann kann gar nicht gegen die verdammten Juden aufkommen. Wie weit war ich doch noch?« – »Er kam in die Straße der Frau Syndikus.« – »Ja so! Die Frau Syndikus und ich standen grade am Fenster und konnten in die Stube der Frau Pastorin Behrens hineinsehen, und die Frau Syndikus sagte, ihr Mann habe gesagt, wenn die Frau Pastorin es auf einen Prozeß wollte ankommen lassen – nein, nicht die Frau Pastorin – die Kirche oder das Konsistorium oder sonst wer, dann müßte der Herr Pomuchelskopp oder sonst wer ein neues Predigerhaus zu Gürlitz bauen, und die Frau Syndikus ...« –
Äwer de Fru Syndikussen stunn de Geschicht nu all bet an den Hals, sei hadd sick, as sei de Krummhurn taum Vertellen upfödderte, 'ne nüdliche Raud för ehre Ungeduld bunnen, sei föll hir also in de Red': »und da ging er in das Haus der Frau Pastorin und, ohne sich weiter auf dem Flur aufzuhalten, gleich in die Wohnstube, und die alte Frau fuhr vom Sofa auf und machte solche Handbewegung, als müßte sie sich ihn vom Leibe halten, ..."