Montag, 24. Oktober 2011

Soziale Verteidigung (aus der Zeit der atomaren Abschreckung)

Schon Alfred Nobel glaubte, mit seinem Dynamit die Voraussetzung für Waffen geschaffen zu haben, die jeden Krieg unmöglich machten. Angesichts der fürchterlichen Folgen dieser Waffen könne ihre Anwendung durch nichts mehr gerechtfertigt werden. - Er hat sich getäuscht. Immerhin reichte das Geld, das durch seine Erfindung einkam, aber zur Einrichtung des Nobelpreises, insbesondere des Friedensnobelpreises.

Heute ist die potentielle Zerstörungskraft unserer Waffen weit höher, als Alfred Nobel es auch nur ahnen konnte, und von neuem ist der Gedanke gekommen, diese Waffen seien so schrecklich, dass sie nun wirklich einen künftigen Krieg, in dem sie angewendet werden könnten, verhindern würden.

In der Geschichte der Kriege seit 1945 sieht man die Bestätigung: Kriege allüberall, nur nicht in Europa. Sie sind durch Abschreckung verhindert. So die Theorie.

Freilich hat die Theorie einen Schönheitsfehler: Anfang der sechziger Jahre entdeckten die amerikanischen Abschreckungsexperten, dass die bisherige Abschreckung, die angeblich schon über ein Jahrzehnt funktioniert hatte, nicht glaubwürdig sei. Wieso war es trotzdem nicht zum Krieg gekommen? War Abschreckung überhaupt nötig gewesen?

Dass man auf eine Besetzung Westberlins mit dem großen Atomschlag antworten und damit die Selbstvernichtung heraufbeschwö­ren werde, sei nicht glaubhaft. Folglich entwickelte man die Strategie der abgestuften Vergeltung ("flexible response”), die je nach Provokation angepasste Antworten vorsah, die nötigenfalls bis zum entschei­denden Schlag eskaliert werden konnten. Heute ist die Strategie weiterentwickelt worden. Um die Glaubwürdigkeit der Ab­schreckung zu erhöhen, hält man es inzwi­schen für nötig, sicherzustellen, dass man eine atomare Auseinandersetzung gewinnen kann. Der Atomkrieg soll führbar gemacht werden. Diesem Ziel dienen die "Cruise Missiles" und die Pershing-Raketen, die in Europa stationiert werden sollen. So antwortet denn auch der Erfinder der Neutronenbombe, Sam Cohen, auf die Frage, ob es einen Nuklearkrieg geben wird, mit einem einfachen "ja" (vgl. Die Zeit Nr. 8, 18.2.83, S.42).

Der Kreis schließt sich: Wirksame Abschreckung nur durch glaubwürdige Abschreckung; glaubwürdige Abschreckung nur, wenn man auch voll darauf eingestellt ist, einen Atomkrieg zu fuhren; darauf eingestellt sein kann man aber nur, wenn man auch reelle Chancen hat, ihn zu gewinnen.

Angesichts dieser Abschreckungslogik scheint es verständlich, dass auch andere ­ebenfalls unkonventionelle Wege der Abschreckung gesucht werden. Einer ist der der "Sozialen Verteidigung" (Civilian Defence). Die Abschreckungswirkung der Sozialen Verteidigung soll darin liegen, dass der Angreifer damit rechnen muss, im Fall der Besatzung eines Landes langfristig gegen die Bevölkerung arbeiten zu müssen, so dass kein wirtschaftlicher Nutzen aus der Beset­zung entsteht. Dies soll entweder durch passiven Widerstand wie Gehorsamsverweigerung, Boykottmaßnahmen, Sitzblockaden und Streiks erreicht werden oder - womöglich durch dynamische Weiterarbeit ohne Kollaboration, d h. - es müsste verhindert werden, dass der Besetzer sich die Produktionsergebnisse zu Nutze machen könnte (Diese wäre denkbar im gesamten Dienstleistungssektor). '

Diese Technik des "Zivilen Ungehorsams" wird von Theodor Ebert, einem führenden deutschen Verfechter der Sozialen Verteidigung, noch genauer begründet:

Zitat: "'Zivil' ist der Ungehorsam dann, wenn er - wie Gandhi im Februar 1922 nach misslichen Erfahrungen definierte - "höflich, wahrheitsliebend, bescheiden, klug, hart­näckig, doch wohlwollend, nie verbreche­risch und hasserfüllt" erfolgt. Bemerkenswertester Unterschied des zivilen Ungehorsams zur provokatorischen, potentiellen gewaltsamen Regelverletzung ist, dass sich die zivilen Ungehorsam Leistenden den Sanktionen ihrer Gegner auf keinen Fall gewaltsam widersetzen und sich ihnen - in der Regel - auch nicht durch Täuschung zu entziehen suchen.

Gewaltsame Kampftechniken, Notwehr und Täuschung werden abgelehnt, weil sie bei den Trägern der Aktion, ihren Gegnern und den Beobachtern unerwünschte Reaktio­nen auslösen. Die von Frantz Fanon behauptete emanzipatorische Wirkung der Gewalt­anwendung wird bestritten, da systematische Gewaltanwendung eine Befreiungsorganisa­tion zu hierarchischen Strukturen, zur Un­tergrundarbeit und zur Einübung in ein immer waches Mißtrauen zwingt und so nach dem Abschluß der Kampfhandlungen diktatorische Strukturen vorhanden sind. Gewaltanwendung wird ferner abgelehnt, weil sie bei einem mächtigen Gegner in der Regel zur Eskala­tion der gegenseitigen Gewaltanwendung und zur extremen Steigerung der Opfer führt. In einem gewaltfreien Verhalten wird keine Garantie für einen Repressionsverzicht des Gegners gesehen; man rechnet jedoch damit, daß aufs Ganze gesehen die Opfer eines Befreiungskampfes geringer sind, wenn selbst auf extrem gewaltsame Repression immer gewaltfrei geantwortet und so dem Gegner keine zusätzliche Legitimation für seine Unterdrückungsmaßnahmen geboten wird. (Der indische Unabhängigkeitskampf mit gewaltfreien Methoden kostete - einschließlich der englischen Reaktion auf vereinzelte indische Gewaltakte - etwa 8000 Menschenleben; der algerische Unabhängigkeitskrieg im Anschluß an die blutige Unterdrückung einer gewaltlosen Demonstration in Sétif im Mai 1945 kostete etwa 150 000 bis 200 000 Menschenleben, bei einer etwa dreißigmal kleineren Gesamtbevölkerung. ) Schließlich werden Gewaltmethoden abgelehnt, weil in an in den Gegnern nicht beati possedentes. sondern unfreie, sich selbst entfremdete Menschen sieht. Das gewaltfreie Verhalten soll hier die übergreifende Solidarität mit dem Gegner als Menschen zum Ausdruck bringen. " (Th. Ebert: "Stichwort: Gewaltfreie Aktion" in: Gewaltfreie Aktion, Vierteljahrsheft für Frieden und Gerechtigkeit, 1. Jahrg. Heft 1/82)

Beispiele für Aktionen dieser Art finden sich im Widerstand gegen den Kapp-Putsch 1920, gegen die Ruhrbesetzung 1923, gegen die deutsche Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkrieges in Dänemark und Norwegen, gegen die sowjetische Besetzung der CSSR 1968 und gegen das von der Sowjetunion gestützte Regime in Polen heute.

Diese Aktionen waren bei weitem nicht immer erfolgreich. Für viele Kritiker ist schon das der Beweis, daß Soziale Verteidigung nicht funktionieren kann. Dabei übersehen sie allerdings meist, daß auch 50% aller Kriege nicht erfolgreich ausgehen (nämlich für den Verlierer) und daß es sich bisher meist nur um improvisierte Aktionen handelte.

Gewisse Chancen auf Erfolg hätte Soziale Verteidigung, wenn sie gut vorbereitet würde, also wohl schon heute. Allerdings in der Tat, ihre Abschreckungswirkung - das sofortige Verschwinden aller Waffen auf seiten des Verteidigers und seiner Verbündeten vorausgesetzt - wäre zunächst wohl nur sehr begrenzt. - Aber ist das Grund genug, nicht einmal Schritte in diese Richtung zu tun?

Freilich: Wenn Soziale Verteidigung gut funktionieren soll, dann ist eines die Grundvoraussetzung: eine Gesellschaftsordnung, für die die überwältigende Mehrheit bereit ist, sich eventuell bis zum Einsatz des Lebens einzusetzen. Eine Gesellschaft, in der Millionen und wieder Millionen bereit sind, für die Verteidigung ihr Leben aufs Spiel zu setzen und jedenfalls äußerste Entbehrungen (im Fall eines Streiks in lebenswichtigen Sektoren) in Kauf zu nehmen - eine solche Gesellschaft gibt es nach Ansicht der Kritiker der Sozialen Verteidigung nicht, und es wird sie wohl auch nicht geben. Das mag sein. Nur ist gerade eine solche Gesellschaft auch die unbedingt notwendige Voraussetzung für jede - moralisch zu rechtfertigende - atomare Abschreckung.

Wie wir gesehen haben, setzt glaubwür­dige Abschreckung die Bereitschaft, im Zweifelsfall die Mittel auch wirklich einzusetzen, voraus. Atomare Abschreckung setzt also voraus, daß die Gesellschaft bereit ist, Millionen von Toten, die Zerstörung der Industrie und der Umwelt sowie unüber­sehbare Folgelasten für die folgenden Gene­rationen, im Ernstfall für die Verteidigung in Kauf zu nehmen. Wieso sollte sie glaubwürdig sein?

Wir alle wissen, weshalb: Soziale Vertei­digung setzt voraus, daß der einzelne im Ernstfall zu seiner Entscheidung steht; im Atomkrieg hat keiner mehr die Möglichkeit, sich für Überleben statt Verteidigung zu entscheiden. Das macht den Unterschied der Glaubwürdigkeit Sozialer Verteidigung und atomarer Abschreckung aus.

Sollen wir deshalb resignieren: Es gibt keine Alternative zur atomaren Abschreckung? oft schon in der Geschichte ermöglichten gesellschaftliche Veränderungen neue Kampfmethoden: die Schweizer Bauern gegen das deutsche Ritterheer; die Freiwilligenarmeen der französischen Revolution gegen die Armeen der absoluten Fürsten; spanische Guerillakämpfer gegen Napoleons Heer. Die bewährten Methoden versagten gegen einen Gegner, der besser wußte, wofür er kämpfte. Gegen einen Streik helfen keine Atomwaffen.

Soziale Verteidigung eine Utopie? Unbedingt. Aber atomare Abschreckungsstrategie als Alternative könnte den Weg zu ihr ebnen. jedenfalls für Christen – oder? (1983)

Vom utopischen Frieden

"Die Friedensbewegung ist ein gut gemeintes Unternehmen, aber leider illusionär und utopisch und daher für die praktische Politik gefährlich. " - Diese Ansicht ist oft zu hören und auch von wahrhaften Autoritäten wie etwa Carl Friedrich von Weizsäcker mit Nachdruck vertreten worden. Hat's dann noch Sinn, sich für eine chancenlose Sache einzusetzen?

Dazu ein Blick in die Geschichte der Friedensbewegung - weit zurück: Das Fehdewesen des Mittelalters ist heute fast nur noch dem Historiker verständlich. Wenn ein Adliger oder eine Stadt den Eindruck gewannen, es sei in ihr Recht eingegriffen worden, sagten sie dem Rechtsverletzer die Fehde an.

Es kam zu Überfällen, Geiselnahmen, nicht selten sogar zu Belagerung und völliger Niederwerfung des Gegners. Das war ein anerkannter Teil der Rechtsordnung. - Heute ist der Austrag von Rechtsstreitigkeiten im Krieg statt vor Gericht für Privatpersonen undenkbar. Wir kennen ihn nur noch von Verbrecherbanden und - von Staaten. Dabei war die Fehde seit Jahrhunderten eine anerkannte Institution, als kurz vor der Jahrtausendwende von einem südfranzösi­schen Kloster, Cluny, ausgehend eine Bewegung um sich griff, die ihre Abschaffung forderte: die Gottesfriedensbewegung. Zunächst waren es nur der Abt von Cluny und einige Gesinnungsgenossen, dann griffen mehr und mehr kirchliche Würdenträger den Gedanken auf, bis schließlich auch der Papst ihn übernahm: Friede unter allen Christen.

Man braucht nicht zu glauben, dass diese Bewegung sehr realistisch war. Sie konnte sich immer nur in beschränkten Gebieten Geltung verschaffen. Immer wieder wurde der Gottesfriede durchbrochen. Schließlich resignierte man und versuchte es mit Regelungen wie: eine halbe Woche Friede und eine halbe Woche Fehderecht und ähnlichem. Eine utopische Bewegung gescheitert. So musste es ihren Begründern erscheinen. Doch die Bewegung wurde vom Kaiser aufgegriffen, 1085 wurde der erste - befristete - Reichslandfrieden beschworen. Bis 1495 dauerte es, bis ein "Ewiger Landfriede" beschlossen wurde, bis endgültig aus fehdeführenden Rittern Raubritter wurden. 500 Jahre nach Anfang der Bewegung.

War die Bewegung deshalb utopisch?

Freilich, wir wissen, mit der Abschaffung der Fehde war nur ein kleiner Schritt getan. Knapp weitere 400 Jahre dauerte es, bis mit der Schaffung des zweiten deutschen Reiches (1871) nach vielen blutigen Kriegen auch den deutschen Fürsten untersagt war, untereinander Krieg zu führen. Etwa 75 Jahre dauerte es, bis nach noch weit schrecklicheren Kriegen 1945 in Europa Frieden einkehrte. - Nicht der Friede, den wir brauchen. (Vom wahren Frieden Gottes ­"höher als. alle Vernunft" - ganz zu schweigen!) Denn die Drohung mit dem atomaren Selbstmord darf nicht die letzte Antwort auf die Frage nach dem Frieden sein. Aber sie braucht es auch nicht. Denn es gibt Ansätze, zu einer anderen Friedensregelung zu kommen. Die Vereinten Nationen (UNO) tun zwar zaghafte Schritte, erfolgreicher als der Völkerbund sind sie immerhin. Die Soziale Verteidigung (Abschreckung eines Gegners ohne Waffen) ist noch nie erfolgreich erprobt worden, ähnliche Aktionen blieben 1968 in der Tschechoslowakei erfolglos; aber der indische Befreiungskampf unter Gandhi war ein Erfolg. Die Anti-Atomwaffenkampagne der 50er Jahre ist völlig gescheitert; die Kampagne der 80er Jahre hat Einfluss auf Wahlen, ja ihr wird sogar Einfluss auf internationale Verhandlungen nachgesagt. (Ein negativer natürlich, wenn man Reagan glaubt.)

Dürfen wir das alles als Utopie abtun, nur weil es keinen durchschlagenden Erfolg in­nerhalb der nächsten 30 Jahre verspricht? Dürfen wir unseren Einsatz verweigern, nur weil wir selbst das Ziel nicht erreichen werden? - 500 Jahre dauerte es bis zu dem ersten entscheidenden Erfolg der Gottesfriedensbewegung. (März 1983)

Problematik des Fortschrittdenkens

Während viele Kulturen in Kreisläufen denken, an die ewige Wiederkehr des prinzipiell Gleichen, kennt das Christentum einen Zielpunkt der Ge­schichte. Ob man dabei mehr das Jüngste Gericht oder das Kommen des Herrn im Blick hatte, ein Ende war vorgegeben. Mit Fortschritt im heutigen Sinne hatte das freilich wenig zu tun. Das Reich Gottes kommt - nach christlicher Überzeugung - nicht aufgrund menschlicher Anstrengungen, sondern von Gott. Erst im Zuge der Säkularisierung, im Kraftgefühl der Befreiung aus alten Bindungen entwickelt sich in der Renaissance und weitergehend in der Aufklärung der Fortschrittsgedanke. Und töricht wäre es, diesen Fortschritt zu leugnen. In den Naturwissenschaften, in der Fähigkeit, Naturvorgänge nach mathematischen Regeln zu beschreiben, und in der Technik, in der Möglichkeit, Natur­kräfte und -stoffe in den Dienst des Menschen zu stellen, hat es zweifellos einen Fortschritt gegeben. Und damit steht man in einer gut biblischen Tradition. Das 'Macht euch die Erde Untertan!' (l.Mose 1,28) ist von den Menschen erfüllt worden wie wohl kaum eine andere biblische Aufforderung.

Freilich, indem er die Erde zu seiner Sklavin machte, zerstörte der Mensch auch immer mehr ihre Fähigkeit, für sich selbst Vorsorge zu treffen. Er übernahm die Verantwortung, die Natur zu lenken, eine Verantwortung, von der wir heute wissen, dass er sie nicht tragen kann. Umweltschutz ist der Versuch, die Selbststeuerung der Natur wiederzugewinnen. Wir wissen nicht, ob die Tatsache, dass er so wenig Fortschritte macht, nicht vielleicht bedeutet, dass es schon zu spät ist. Die Rohstoffe sind nahezu erschöpft, und das Gleichgewicht der Natur ist erheblich gestört. Da kommt mit den Mikroprozessoren, mit dem Chip, mit dem Computer plötzlich die Chance, Produktivität zu erhöhen, ohne vermehrt Rohstoffe zu verheizen. Die Möglichkeit, Vorgänge berechenbar und damit beherrschbar zu machen, die vordem zu kompliziert dafür erschie­nen. Die Rettung. Freilich, schon beim ersten Problem, das er hervorruft, bei der Arbeits­losigkeit, versagt der Computer. Tausende von Problemen werden mit dem Computer wie spielerisch gelöst; aber die Arbeitslosigkeit zu verhindern, die er schafft, weil er viele Menschen als Problemlöser arbeitslos (redundant, d.h. scheinbar überflüssig) macht, diese Arbeitslosigkeit zu verhindern gelingt ihm nicht. Genauer gesagt: sie ist ein Problem, mit dem die Menschen nicht fertig werden, nicht trotz der Computerhilfe, sondern wegen ihr. Weil sie mit dem Computer nicht fertig werden.

Aber sonst hat er sich als unersetzlich herausgestellt. Ob bei der Bank, ob bei Behörden, der Computer ist immer dabei. Und der Computerfehler natürlich. Nicht immer so sinnlos wie bei der Einberufung von Babys und 101-jährigen zum Wehrdienst (einem simplen Fehler bei der Programmierung zuzuschreiben), manchmal auch unauf­fällig ("Wir haben ihre Überweisung als Bareinzahlung gebucht, weil das Zeichen Überweisung in unserem Computer nicht funktioniert."), nicht selten als Zusammenbruch des ganzen Systems. Bei der Börse z.B., wo dank Computer der Handel sich schneller abwickeln ließ, sich deshalb verviel­fachte und genau damit den Computer wieder überforderte, so dass alles zusammenbrach, oder auf dem Flughafen ("Due to a breakdown of the Computer System at the control tower the take off will be postponed.") Einzug gehalten hat er recht bald auf militärischem Gebiet. Ob die Atombombe nur durch den Computer ermöglicht wurde, ist strittig. Tatsache ist, dass dem Entwicklungsteam unter Oppenheimer ein - für damalige Verhältnisse - ungewöhnlich leistungsfähiger Computer zur Verfügung stand und dass heute Raketen wie Früh­warnsysteme computergesteuert sind. Auch hier gibt es eindrucksvolle Leistungen (wie die Versenkung einer britischen Fregatte durch eine kleine selbstgesteuerte Rakete im Falkland­krieg) und den Computerfehler. Wurde doch vom Zentralcomputer des Frühwarnsystems dem Pentagon gemeldet, russische Raketen seien im Anflug auf die USA. Und nur wenige Minuten, bevor die amerikanischen Raketen hätten abgeschossen werden müssen, stellte es sich heraus, dass versehentlich ein Übungsprogramm als Realität erschienen war. Damals konnte man den Fehler herausfinden. Heute sind die Zeiträume, innerhalb deren man reagieren muss, aus technischen Gründen drastisch verkürzt. Es heißt, deshalb hätten Amerikaner wie Russen die Kontrolle über den Raketenabschuss schon dem Computer übergeben. Und Computerfehler zu beseitigen, wenn sie ein­mal in ein Programm eingebaut sind, ist übrigens nach J. Weizenbaum, einem angesehenen amerikanischen Computer­spezialisten am MIT in Cambridge Mas­sachusetts, nicht mehr durch Ausmerzen aus dem Programm, sondern nur noch durch 'Flicken' möglich. Denn die großen Computersysteme sind heute auch von Experten nicht mehr zu durchschauen. (Eine Aussage, bei der - laut Weizenbaum - ihm noch nie ein Computerexperte widersprochen hat.) Aber warum immer von den Schwächen der Computer reden, reden wir doch einmal von ihren Leistungen! Und damit wären wir bei der Geschichte von der Erdnussbutter. (verfasst 1987)

Geschichte von der Erdnussbutter.

In den USA gibt es wie in Europa Akademikerarbeitslosigkeit. Besonders schlimm ist es aber mit dem akademi­schen Nachwuchs. Wem früher die Habilitation offen stand, für den ist es heute schwer, ein Promotionssti­pendium zu bekommen. Glücklicherweise gibt es nun aber in den USA eine Stiftung, die großzügige Promotions­stipendien vergibt, richtige Gehälter, von umgerechnet $ 10 000 im Jahr. Und außerdem arbeitet sie mit einem Institut zusammen, das hervorragende Arbeitsbedingungen bietet: großzügig ausgestattete Labors, die leistungs­fähigsten Computer. Natürlich fördert sie nur die begabtesten Studenten, Leute, die in einer normalen Studien­zeit zwei bis drei verschiedene Studien abschließen und nebenher noch Zeit zur Einarbeitung in Spezial­gebiete finden. Aber auch für den Begabtesten der Begabten sind solche Stipendien natürlich hochattraktiv. So auch für D., mit 23 Jahren bereits Absolvent zweier naturwissenschaftli­cher Studiengebiete, außerdem Spezia­list für Computer und Laser. Befreundet mit der Studentin E., mit der ihn das politische Engagement gegen die atomare Rüstung verbindet. - Das neue Institut, an dem er arbeitet, steht etwas abseits. Man kann sagen in der Wüste. Seine Freundin kann er nur noch an Wochenenden sehen, wenn überhaupt. Was er ihr vom Computer vorschwärmt, dem leistungsfähigsten, den er, der Computerexperte, je gese­hen hat, kann sie nicht verstehen. Ihre Frage: "Wofür arbeitest du denn?" kann er nicht verstehen, wo doch die Arbeit so hochinteressant und faszi­nierend ist. Doch antwortet er ihr und versucht ihr die Faszination des Computerprogramms, das er entwirft, klarzumachen. Sie versteht das Programm nicht, aber sie sieht, dass er fasziniert ist. Ihn interessiert ihre politische Arbeit nicht mehr so, das Programm, sein Programm, hat ihn gepackt. Wie Hunderte hochbegabter junger Wissenschaftler (meist unter 30) in diesem Institut lebt er ganz der Arbeit. Nur noch zum Essen verlässt er kurz den Computer. Schnell zum Kühlschrank, ein Brot mit Erdnussbutter bestrichen und weiter. Seine Freundin wird eifersüchtig - auf das Programm. Sie stellt fest, was er inzwischen auch weiß, dass das Institut ganz auf militärische Forschung ausgerichtet ist. Er arbeitet am Star-Wars-Programm (Strategig Defence Initiative - DSI). Sie stellt ihn zur Rede, erinnert ihn an ihre gemeinsamen politischen Über­zeugungen - von früher. Er spricht von der Faszination des Programms. Sie hadert mit ihm. Da gelingt ihm der Durchbruch. Der Superlaser, der Laser, der feindlichen Raketen vernichten kann! Er hat ihn erfunden. Präsident Reagan kann seine berühmte 'Star-Wars-Rede' halten. Und er - noch nicht dreißig - erhält höchste wissen­schaftliche Anerkennung. Wäre seine Erfindung nicht für das 'Star Wars-Programm', er erhielte sicher den Nobelpreis dafür. Die Geschichte - ein modernes Märchen - ist wirklich geschehen. Die E., seine Freundin, hat sie erzählt. Natürlich ist die Freundschaft jetzt zerbrochen. Doch nicht nur das ist es, was sie bekümmert: Die Höchstbegabten des ganzen Landes werden eingekauft, für £ 30.000 pro Stück, eigentlich ganz preiswert. Sie werden geködert mit dem faszinieren­den Supercomputer. Und benutzt für die Rüstungsindustrie.

Um die Arbeitslosigkeit, um den Umweltschutz, um die Dritte Welt mögen sich die Zweitklassigen kümmern. Unsere Elite gehört dem Computer und der Rüstung. Sie meinen, so leicht sei es nicht, Menschen einzukaufen? Sind Sie so sicher? Sind Sie jung, intelligent und computerbegeistert, mit Geld etwas verwöhnt, aber im Augenblick noch ohne Stellung? Etwa ein Viertel aller Wissenschaftler der Welt (manche Schätzungen liegen bei einem Drittel) arbeitet direkt oder indirekt an Rüstungsprojekten mit. "macht euch die Menschen untertan!" sagen die Rüstung und die Computer. Aber noch können wir uns wehren, wenn wir es wollen. (verfasst 1987)

Freitag, 24. Juni 2011

Ist es falsch, etwas Gutes tun zu wollen?

Robert Basic schreibt über fragwürdige Helfer des WWF (World Wildlife Fund) und den WDR-Beitrag “Der Pakt mit dem Panda, der einiges dazu aufgedeckt hat. Das fand ich höchst informativ. WWF und Monsanto.
Stutzig werde ich bei seinen allgemeineren Überlegungen:

Je aktiver und lauter ein Verein/Betrieb daran arbeitet, etwas Gutes zu tun, umso misstrauischer werde ich. Reine Erfahrung. “Gutmenschen” gegenüber bin ich mindestens genauso misstrauisch wie gegenüber “Bösmenschen”. Beide bewirken Schlimmes, in ihrem Aktionsdrang.

Richtig daran ist: Jedes Handeln ist problematisch. Das ist immer wieder in Sentenzen ausgesprochen worden, z.B. von Goethe: "Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen als der Betrachtende."
und von Fritz Reuter: "Nimm dir nichts vor, dann schlägt dir nichts fehl."
Sicher: Wer sich etwas Gutes vornimmt, wird immer wieder damit scheitern, und wer versucht, nichts zu tun, was irgend jemandem schaden könnte, tut wohl am besten gar nichts. (Irgendwie hat das aber auch nicht immer die besten Folgen.)
Trotz dieser Vorüberlegungen dazu meine Frage: Ist Amnesty International aktiv? Erhebt es häufig seine Stimme?
Was sind die bösen Folgen davon?

Freitag, 18. März 2011

Vom Fortschrittsoptimismus zur Selbstbesinnung

 
Sie kennen sicher die Science-Fiction­Vorstellung  vom Zeitreisenden: Mit Hilfe einer Zeitmaschine können Men­schen der Zukunft in die Vergangenheit reisen. Dann kennen Sie wahrscheinlich auch die Überlegung, die seit Spielbergs Film 'Back to the Future' für viele selbstverständliches Gedankengut geworden ist, nämlich, dass der Zeitreisende durch Eingriffe in die Vergangenheit seine eigene Gegenwart und damit sich selbst zerstört. Brutal in der Vorstellung, er töte einen seiner Vorfahren, subtiler in der Vorstellung, er steche seinen eigenen Vater als Liebhaber der Mutter aus (so bei Spielberg) und psychologisch gewendet in Frischs Stück 'Biografie', wo der Mann seine Biographie trotz des ihm gegebenen Angebots nicht verändern kann, weil er letztlich als der, der er geworden ist, die anderen Möglichkeiten, trotz allen Klagens über versäumte Chancen, dann doch nicht wollen kann.
Was für die Biographie eines einzelnen nur (?) ein Spiel ist, ist eine bedenkenswerte geschichtsphilosophische Vorstellung für die gesamte Menschheit: Wenn es im Jahre 4000 n.Chr. Menschen geben sollte, dann könnten die nicht sinnvoll eine Änderung der Geschichte im Jahre 2000 n.Chr. wollen, da sie ihre eigene Existenz aufhöbe. Insofern wird jede Epoche die bisherige Geschichte als Vorgeschichte ihrer eigenen begreifen. Gleichzeitig erweist sich aber die Vorstellung, den Sinn der Geschichte an sich erkennen zu wollen oder gar erkannt zu haben (wie etwa bei Hegel und Marx) als lächerliche Selbstüberschätzung, als Hybris. Wir können stets nur den Sinn der Geschichte für uns erkennen.
In der Formulierung 'Wenn es im Jahre 4000 n.Chr. Menschen geben sollte ..', steckt eine wesentliche Erfahrung unserer Tage. Früher hätte man noch formuliert: 'Die Menschen im Jahr 4000 n. Chr  Heute sind wir uns nicht mehr so sicher, ob es im Jahr 4000, 3000 oder 2050 noch Menschen gibt. Diese Erkenntnis über die Fähigkeit der Menschheit, sich selbst zu zerstören, sei es über einen Atomkrieg mit nuklearem Winter oder über die Vernichtung unserer Umwelt, unserer Lebensvoraussetzung, oder schließlich durch Schaffung eines neuen Menschen durch Gentechnologie, hat uns ein neues Selbstverständnis gegeben. Marx' 'Reich der Freiheit', die Vorstellung freier Selbstverwirklichung, ist uns doppelt fragwürdig geworden: Zum einen, weil der Run auf die Selbstver­wirklichung, der absolute Egotrip, vor unseren Augen schon zu oft durch­geführt worden ist und nicht nur zu vielen gescheiterten Ehen, zu zer­schlagenen Hoffnungen, sondern auch zur großen Sinnleere geführt hat. Zum anderen aber - und das ist weit wichtiger - weil es unsere Überfluss­gesellschaft, die Gesellschaft, die Herbert Marcuse und seine Anhänger der Studentenbewegung von 1968 noch für die allgemeine Gesellschaft der Zukunft gehalten hatten, nur aufgrund einer doppelten Ausbeutung gibt: der der Dritten Welt und der der Rohstoff­ und Energiereserven der Erde.
Nun gibt es genügend Menschen, die - trotz rund 60 Millionen Hungertoten im Jahr (das sind ebensoviel wie alle Opfer des 6 Jahre dauernden 2.Welt­krieges) - bestreiten würden, dass die Dritte Welt ausgebeutet wird. Deshalb verfolge ich dieses Argument nicht weiter, obwohl ich glaube, dass diese Menschen nichts sind als 'reiche Jünglinge', die durch ihren Reichtum am Erkennen der Wahrheit gehindert werden; 'denn er hatte viele Güter...'.
Unbestreitbar aber ist die Ausbeutung der Erde. Auch hier lässt sich, um das Bestehende zu rechtfertigen, argumen­tieren, die Rohstoffkrise werde nie eintreten, weil die Wissenschaft immer rechtzeitig vor dem Ausgehen eines Rohstoffes 'neue, bessere an seine Stelle setzen werde. Viele sind ja trotz Tschernobyl noch der Meinung, das Erdöl sei als Energiequelle längst durch die Kernspaltung ersetzbar und Energiesparen sei sinnlose Askese, die Suche nach umweltfreundlichen Energien sei Zeitverschwendung. Eins aber wird heute nicht mehr ernsthaft bestritten: Die Umweltkosten moderner Technik wurden bei den Vorstellungen von der Überflussgesellschaft nicht eingerechnet. Wer etwa einen Teil des deutschen Waldes noch retten will, muss dafür Milliardensummen ausgeben, wer das nicht tut, zahlt einen noch höheren Preis.
Aus dieser Erkenntnis, dass der Fortschritt, den wir vorantreiben, ungeheure negative Folgen hat, die es zu begrenzen gilt, hat sich die Bewegung der Umweltinitiativen, die in die grünen Parteien mündeten, entwickelt. Wir können ungeheuer viel mehr machen als früher, und wir sehen Folgen dieses Tuns für eine weite Zu­kunft voraus (bei der Kernspaltung geht es um Tausende und Hunderttau­sende von Jahren, für die wir höchst­gefährlichen Müll produzieren). Deshalb muss Verantwortung für uns zu einer zentralen moralischen Kategorie werden. Wir dürfen nicht mehr nach dem Grundsatz verfahren: Ich weiß nicht, ob es besser wird; aber ich weiß, dass es anders werden muss, wenn es gut werden soll. Sondern wir dürfen nur noch das Verantwortbare tun. Man hat von dem Auslösecharakter unseres Handelns gesprochen. Unser Tun und der Effekt, den es hat, haben für uns zunächst keinen erkennbaren Zusammen­hang. Der Gebrauch eines morgendlichen Deo‑Sprays und die Zerstörung der Ozonschicht unserer Atmosphäre wurde lange nicht im Zusammenhang gesehen. Was alles für die Zerstörung des Waldes verantwortlich ist, wissen wir immer noch nicht. Wer verantwortlich ist, nämlich wir Menschen, das wissen wir schon länger.
Diese Erkenntnis der Gefährlichkeit des Fortschritts hat uns dazu geführt, dass wir die Wertsetzungen bewahrender Gesellschaften zu schätzen lernten: der Indianer ('Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig'), der Afrikaner (Sich-Einsfühlen mit der Natur) und der Chinesen (u.a. auch der Taoisten, die folgerecht das 'Nicht­Handeln' zur obersten  Tugend erklärten).

(Dieser Text war Teil meiner Artikelserie im "Londoner Boten" von 1989.)

Moral und Verantwortung

Kennedy und MacMillan 'sind noch um vieles ärger als Hitler'. Dies Wort des Philosophen Bertrand Russell vom 15.4.1961 ist erschreckend. Wie kann er diese demokratischen, überdies an hohen Idealen sich ausrichtenden Politiker mit dem Diktator vergleichen, der für den schrecklichsten Völkermord der Geschichte verantwort­lich ist? Natürlich hat er Unrecht. Jedenfalls, soweit es um die moralische Wertung geht. Denn Hitler hat den Völkermord gewollt, Kennedy aber hat den Weg in eine demokrati­sche, soziale Gesellschaft gewiesen. Wie tragisch, dass die Attentate auf Hitler scheiterten, dass das auf Kennedy gelang!
Doch es gilt weiter zu fragen. Was macht die Tat Hitlers so grenzenlos verwerflich? Judenpogrome hat es in der Geschichte wieder und wieder gegeben. Das Neue ist, dass mit geradezu industriellen Methoden Völkermord betrieben wurde, dass Menschen, die keinen Hass gegen Juden empfanden (die gab es auch), nur aus Gehorsam am Massenmord schuldig wurden, dass sogar Juden selbst gezwungen wurden, die Mordmaschinerie effizienter zu gestalten. Und Hitler sagte: 'Ich übernehme die Verantwortung.' Eine Verantwortung, die kein Mensch über­nehmen kann. Und dagegen Kennedy!
Aber was wäre, wenn die Kubakrise 1962 anders verlaufen wäre, wenn sie zum Dritten Weltkrieg geführt hätte (was selbst John F. Kennedy damals nicht für ausgeschlossen hielt), wie müsste man dann das Ergebnis beurteilen? 500 Millionen Tote, eine Milliarde, zwei Milliarden oder mehr - so hätte das Ergebnis ausgesehen. Und dies verglichen mit den rund 60 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges (eine Zahl, die den grauenhaften Völkermord an den Juden einschließt). Was ist schrecklicher, welches Ergebnis wäre für die Menschheit folgenschwerer? Und wer wäre daran schuld? Kennedy, der ohne Zweifel den Krieg nicht wollte, der ihn vielmehr durch eine Demonstra­tion der Stärke unwahrscheinlicher machen wollte? Chrustschow, der den Krieg ebenfalls nicht wollte, der nur die Ausgangsposition der Sowjetunion verbessern wollte, aus seiner Sicht das Ungleichgewicht zugunsten der USA etwas verringern wollte? Oder die Soldaten, die ihre Befehle befolgten? Wer wäre schuld, wenn morgen durch einen Computerfehler der atomare Schlagabtausch ausgelöst würde? Der Mann am Terminal, der den Fehler nicht erkennt? Die Programmierer, die nicht verhindert haben, dass solch ein Fehler zustandekommen konnte?
Wir sehen, das System der atomaren Abschreckung schafft eine Verantwortung, die kein Mensch übernehmen kann. Mehr noch: Jeder Mensch, der für dieses System mitverantwortlich ist, trägt eine Verantwortung, die ungeheuerlicher ist als selbst die, die Hitler frevlerischerweise zu übernehmen versprach.
Jeder, der in diesem System verantwortlich ist und nicht alles tut, um für Entspannung zu sorgen und es wieder abzubauen - so wie der Parteisekretär Gorbatschow es ein Stück getan hat - trägt mit an einer Verantwortung, die kein Mensch trage kann. Könnte die Menschheit sie tragen? Im Blick auf alle kommende Generationen, die mit untergingen?
Kein Zweifel daran, dass Kennedy und MacMillan moralischer waren als Hitler. Doch es ist unwahrscheinlich, dass die, die für den Dritte Weltkrieg verantwortlich sein werden, unmoralischer sein werden. - Wer heute verantwortlich handelt, muss dazu beitragen, die Verantwortung, die er selbst und die künftige Generation haben werden, wieder auf ein menschliches Maß zurückzuführen.
Aber Sie und ich, wir brauchen uns nicht darum zu kümmern?
(Dieser Text ist der zweite in einer Artikelserie über Fortschritt und Verantwortung im Londoner Boten  Hefte Nr. 7 und 8-9/1989)

Donnerstag, 27. Januar 2011

Frosch und Ochse

Vor einiger Zeit sammelte ich die Fabel von Frosch und Ochsen in verschiedenen Sprachen.
Bei Phädrus I,24 lautet sie so:
Rana rupta et bos.
Inops, potentem dum vult imitari, perit.
In prato quondam rana conspexit bovem
Et tacta invidia tantae magnitudinis
Rugosam inflavit pellem: tum natos suos
Interrogavit, an bove esset latior.
Illi negarunt. Rursus intendit cutem
Maiore nisu et simili quaesivit modo,
Quis maior esset. Illi dixerunt bovem.
Novissime indignata dum vult validius
Inflare sese, rupto iacuit corpore.


italienisch:
LA RANA SCOPPIATA E IL BUE…

Il povero muore  quando vuole imitare il potente.
La rana in un prato scorse un bue.
e colpita d’invidia della grande dimensione,
rigonfiò la sua pelle rugosa.
Quindi domandò ai figli se era più larga del bue:
ed essi negarono.
La pelle ancora con uno sforzo stese,
e chiede di nuovo  ai figli chi era più grande.
Questi dissero il bove.
Indignata per l’ultima volta, fece un ultimo sforzo. Si gonfiò ancora, scoppiò e morì.
(soverato news)



Hier noch einige Links:

Japanisches Denken oder: Philosophie ohne Wahrheiten

Japanische Philosophie versucht nicht, durch radikale Kritik an jeder Tradition ein allein auf kritische Vernunft aufgebautes System zu schaffen, wie es in Europa im Gefolge von Descartes viele Denker versucht haben. Vielmehr baut sie bei aller Weiterentwicklung auf die alten Traditionen auf. Dies ist übrigens ein Charakteristikum, das asiatischen Philosophien gemeinsam ist.

Darüber hinaus gehende Gemeinsamkeiten teilt japanisches Denken noch mit China. Denn es hat von dort nicht nur die Bilderschrift (die kanji) und damit die Begrifflichkeit, sondern auch Buddhismus und Konfuzianismus sowie dessen Weiterentwicklung zum Neokonfuzianismus übernommen.

All diesen Denktraditionen ist gemeinsam, dass sie nicht nach einer Ursache hinter der Welt (nach Transzendenz) fragen, sondern die Realität als solche hinnehmen und aus dem gemeinsamen Vorverständnis zu erklären suchen. Deshalb geht es hier nicht um logische Beweise, die Allgemeingültigkeit, jederzeit und überall, beanspruchen, sondern um das Aufdecken von Ähnlichkeiten, Beziehungen, Analogien, die die Welt verständlicher machen sollen. Dafür wird häufig mit Parallelen, Metaphern und Bildern gearbeitet.

Dieses Denken, so fremd es uns zunächst erscheinen mag, fällt nicht völlig aus abendländischer Denktradition heraus. Denn Aristoteles kannte neben der axiomatischen Philosophie, die allgemeine Wahrheiten herauszufinden sucht, auch die topische, die das Glaubhafte und Plausible herauszuarbeiten versucht. Letztere baut auf dem gemeinsamen Vorverständnis (sensus communis) auf und war die Basis der antiken Rhetorik. Noch im 18. Jahrhundert hat der italienische Geschichtsphilosoph Vico diese Tradition zu beleben versucht.

Diese Art des Denkens erlaubt es ganz anders als die aufklärerische Vernunftkritik, verschiedene Denktraditionen miteinander zu verbinden. So wurden die kami (Götter) des Schintoismus nicht nur mit den verschiedenen Buddhas, sondern auch mit den Grundprinzipien des Konfuzianismus identifiziert. (Uns ist es eine befremdliche Vorstellung, Tugenden als Berge in der Landschaft stehen zu sehen. Und doch ist uns die Sonne als lebensspendendes Prinzip geläufig.) Dabei hatte schon der Konfuzianismus seine streng hierarchische Verhaltenslehre mit Grundvorstellungen des Taoismus anzureichern gewusst, obwohl dieser Anarchie und Nicht-Handeln als höchste Ziele anstrebte.

Seit die modernen Naturwissenschaften die Vorstellung von der Allgemeingültigkeit von Ursache und Wirkung aufgegeben haben und Postmoderne Philosophie weder allgemeinverbindliche Werte noch allgemeingültige Regeln mehr kennt, ist die aufklärerische Denktradition freilich auch in der westlichen Hemisphäre in die Defensive geraten.

Wie wenig Allgemeingültigkeit philosophische Wertungen in der westlichen Zivilisation noch haben, zeigt sich in der aktuellen ethischen Diskussion. Immer weniger ist es möglich, von gemeinsamen Prinzipien aus stimmige Regeln zu finden. Immer mehr zeigt sich, dass ein unterschiedliches Vorverständnis gemeinsame Wahrheiten ausschließt und nur die Hoffnung auf Überzeugungsarbeit bleibt, damit das, was uns unverzichtbar erscheint, nicht in einem allgemeinen Werterelativismus untergeht.
 
Links zu diesem Kontext:
Asiatische Philosophie:
Allgemeinere philosophische Links:
http://www.tuhh.de/rzt/rzt/it/Phil_Neu/node1.html (aktuelle Anlässe für Philisophie)
http://de.wikibooks.org/wiki/Philosophie (kleines Lehrbuch zur Philosophie)
Links zu Feyerabend:
http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Feyerabend
Kurzdarstellung zu einigen seiner Werke:
http://www.philosophenlexikon.de/feyerab.htm
Habermas:
Willensfreiheit:

Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Nachkriegszeit: erster Aufbau u. Entstehung der Spaltung (1945-49)
Auf erste Versuche, die Einheit Deutschlands zu bewahren, die noch im Potsdamer Abkommen zu fassen sind, folgte bald eine bewusste Entscheidung der Besatzungsmächte, jeweils ihre Zone in ihrem Sinne und als Einflussraum zu entwickeln. Dabei ließ die Sowjetunion sehr viel früher als die West­mächte die Bildung von Parteien zu, auch um ihre aus Moskau kommenden Kader der kommu­nistischen Partei rasch das politische Leben bestimmen zu lassen. Im Zuge einer Volksfront­taktik klang der Aufruf der KPD von 1945 dabei sehr viel bürgerlicher als etwa das von Kapitalismus­kritik geprägte Ahlenener Programm der CDU von 1947. Die wichtigsten Gegner der Einheit waren in dieser Phase die Franzosen, während die SU aus Interesse an Reparationen aus dem Ruhrgebiet eher für Einheit war. So obstruierte Frankreich ständig die Tätigkeit des Alliierten Kontrollrates.
In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen werden 1946 von den Alliierten 12 Größen des Dritten Reiches zum Tode verurteilt. Der Marshall-Plan 1947/48 und die Währungsreform 1948 bringen dem Westen wirtschaftliche Gesundung. Die Reaktion der SU sind die Blockade Berlins und die Vorberei­tung der Gründung der DDR, die dann kurz auf die der BRD folgt.
Ära Adenauer: Verhärtung der Spaltung, Westbindung, “Wirtschaftswunder”, Kanzler­demo­kratie” (1949-63)
Diese Zeit war durch Zuversicht auf Wiederaufbauerfolge, durch Kalte-Kriegs-Mentalität (Anti­kommunismus), autoritären Stil und Patriarchat geprägt. Die Arbeitsamkeit, Regeltreue, Pünktlichkeit und Ordnung, die man den Deutschen nachsagt, waren charakteristisch für diese Zeit. Außerdem herrschte eine recht prüde Moral. (Kuppeleiparagraph).
1949-55 Aufbau
Wirtschaftswunder, als dessen Vater Wirtschaftsminister Erhard galt, und erste europäische Annäherung fallen in diese Zeit. Am Ende stehen: Souveränität, NATO-Mitgliedschaft und Bundeswehr. Adenauer entschied sich für konsequente Westbindung.
1955-63 Konsolidierung
Das Wirtschaftswunder wächst sich zum Wohlstand aus. Die Arbeitslosigkeit sinkt auf 1,7%, Gastarbeiter werden ins Land gerufen. Seit der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in der DDR 1953 wird die Hoffnung auf Wiedervereinigung immer geringer, das Reden davon gerät oft zur Heuchelei. Nach dem Bau der Mauer werden neue Strategien zur Annäherung von Ost und West als langfristige Strategie zur Wieder­vereinigung entwickelt. Die SPD schafft mit dem Godesberger Programm 1959 und der Übernahme des marktwirtschaftlichen Konzepts für ihre Wirtschaftspolitik die Voraussetzung für ihre Regierungsfähigkeit. Im Streit um die Stationierung von Atomwaffen in der BRD wird erfolgreich die friedliche Nutzung der Kernenergie als Mittel zur Akzeptanz der neuen Technik gewählt. 1962 versuchte die Regierung das Nachrichtenmagazin Spiegel mundtot zu machen, indem ihm Landesverrat vorgeworfen wurde und seine Archive durchsucht wurden.
Die Affäre führte aber zum Ansehensverlust der Regierung, zum Rücktritt des Verteidigungs­ministers Strauß (CSU) und zur Stärkung der Kontrollfunktion der Medien. 1963 trat Bundeskanzler Adenauer zurück. (Der Versuch, des kleineren Koalitionspartners FDP, seine Kanzlerschaft schon 1961 zu beenden, war fehlgeschlagen.)
Liberalisierung u. Studentenrevolte: Auflockerung des Kalten Kriege, Umgruppierung des Parteiensystems, neuartige Kritik an der Regierung (1963-69)
Ludwig Erhard wurde neuer Kanzler, fand Anklang mit seinem liberalen Stil statt der autoritären Führung durch Adenauer, agierte aber glücklos. Trotz seiner Appelle zum Maßhalten geriet Deutschland in die Rezession, so dass er auf seinem eigenen Felde erfolglos schien. Auch innen­politisch und außenpolitisch fand er keine Antworten auf die neuen Konstellationen: erste Studentenproteste und internationale Entspannung. So kam 1966 es zur Annäherung von CDU/CSU und SPD und der großen Koalition mit dem Kanzler Kiesinger. Sie brachte gegen die kleine Opposition FDP trotz der Proteste der außerparla­mentarischen Opposition (APO) die Notstands­gesetze durch und öffnete sich zu den osteuropäischen Staaten. - Die Studentenproteste steigerten sich enorm bis zu ihrem Höhepunkt 1968 nach dem Attentat auf den SDS-Führer Rudi Dutschke. Mit den politischen Forderungen gehen freiere Vorstellungen von Sexualmoral (Pille, Aufklärungswelle) und vom Umgang mit Autoritäten einher. Der dadurch bewirkte soziokulturelle Wandel gilt vielen als das dauerhafteste Ergebnis der Protestbewegung.
Sozialliberale Periode: neue Ostpolitik, Reformen, Terrorismus, Ölkrise (1969-82)
Erst mit der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt begann eine konsequente Politik der Gewaltverzichtsverträge mit den osteuropäischen Staaten, der Anerkennung der DDR und der vertraglichen Regelung von Streitfragen bis hin zum gemeinsamen UNO-Beitritt von BRD und DDR 1973. Mit dem Niedergang der Studentenbewegung und ihrem Aufgehen in orthodoxen kommu­nistischen Gruppierungen ging der Aufstieg des Terrors der Rote Armee Fraktion (RAF) einher. Das führte schon unter Brandt zum Radikalenerlass und der Praxis der Berufsverbote für alle, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) infrage stellten. Die Ölkrise aufgrund des Kartells der OPEC stärkte das Umweltbewusstsein und brachte ein Umdenken in Richtung Energiesparen. Nach dem Rücktritt Brandts nach der Spionageaffäre Guillaume über­nahm der pragmatischere Schmidt die Kanzlerschaft, der sich über dem NATO-Doppelbeschluss zur Nachrüstung bei Mittel­streckenraketen bei gleichzeitigem Verhandlungsangebot an die SU von Teilen der Mitglied­schaft der SPD entfremdete. (Fähigkeit zu energischem Handeln bewies er im Herbst 1977 bei der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer und einer Flugzeugentführung.)
Erneut kam es wie 1963 und 1966 zum Regierungswechsel nicht aufgrund einer Wahl, sondern aufgrund des Wechsels des Koalitionspartners, als Genscher die FDP in die Koalition mit der CDU/CSU führte.
Neuer Konservativismus (“Wende”): Skepsis gegenüber Reformen, verstärktes Umweltbewusstsein, Beibehaltung der außenpolitischen Aufgeschlossenheit, Aufkommen von Rechtsradikalismus (1982-90)
Der neue Kanzler Helmut Kohl (CDU) ließ sich 1983 durch eine Wahl bestätigen. Er strebte eine “geistig-moralische Wende” (Weizsäcker) an, schränkte die Staatsausgaben etwas ein und beendete die Politik der beschränkten Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer. Pragmatisch reagierte er auf das Unglück von Tschernobyl mit dem Einsetzen eines Bundes­umweltministers, verspielte aber trotz hervorragenden Machtkalküls seine Sympathien durch innenpolitische Unbeweglichkeit und “Aussitzen” von Problemen. Aus einem Popularitätstief rettete ihn das konsequente Ergreifen der Chance der deutschen Einheit 1989 mit seinem 10-Punkte-Plan und der wirtschaftlich riskanten, politisch sehr wirkungsvollen Währungsunion.
Einigung, verstärkter Konservativismus, Unterstützung des Aufbaus in Ostdeutschland, erhöhte Arbeitslosigkeit, Umbau des Sozialstaats zum Zwecke der Förderung des Wirt­schafts­standortes (ab1990)
Große Versprechungen von “blühenden Landschaften” und konsequente Eingliederung der Ost-CDU brachten trotz der protestantisch-sozialistischen Traditionen in den neuen Bundes­ländern der CDU die Stellung der stärksten Partei in Ostdeutschland. Der wirtschaftliche Anschluss, der zum Wegbrechen der Märkte im Osten führte, kostete zwar viel Subventionen in Ostdeutschland, stellte aber die Eingliederung der ehemaligen DDR so früh sicher, dass auch der Zusammenbruch der SU die Einigung nicht mehr gefährden konnte. Das Fehlen einer nichtkapitalistischen Alter­native führte zu einem neuen Konservativismus und zu Kritik an jeder Utopie, aber auch zur Abwendung von solidarischem Denken. So wurde die steigende Arbeitslosigkeit nur durch Lohnabbau und Umbau des Sozialstaates beantwortet, Deregulierung trat an die Stelle der staat­lich unterstützten Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften in der “konzer­tierten Aktion” der Rezessionskrise von 1966. (Auf steigende Asylbewerberzahlen reagierte man trotz Rückgangs der Aussiedlerzahlen mit Einschränkung des Asylrechts - Art.16a. 1993)
Lohnsenkung und Steuersenkung für Unternehmer sind die Methoden zur Verbesserung des “Wirtschaftsstandortes” angesichts der Herausforderung durch die freie Transferierbarkeit des Kapitals und der Möglichkeit der multinationalen Konzerne, sich der nationalstaatlichen Besteuerung zu entziehen, die unter dem Stichwort Globalisierung zusammengefasst werden.

Rot-grüne Koalition (1998 – 2005)

1998 brachte die rot-grüne Koalition mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Fischer nach 16 Jahren Amtszeit Kohls den ersten bundesdeutschen Regierungswechsel, der durch eine Wahl und nicht durch einen Parteiwechsel zustande kam, und damit auch deutliche Veränderungen: Innenpolitisch kam es zur Einführung der Ökosteuer (1999) und der gesetzlichen Lebenspartnerschaft für Homosexuelle (2001) sowie zur Vereinbarung über den Atomausstieg (2000), außenpolitisch zur Beteiligung der Bundeswehr am Kosovokrieg der NATO und nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York 2001 zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan. In der CDU führte die Spendenaffäre zum Aufstieg Angela Merkels zur Vorsitzenden.
Wirtschafts- und sozialpolitisch schwenkte die rot-grüne Koalition nach dem Rücktritt des Finanzministers und Parteivorsitzenden Lafontaine Anfang 1999 auf einen eher wirtschaftsliberalen Kurs mit allgemeinen Steuersenkungen und öffentlicher Sparpolitik. Nach der Wiederwahl der Koalition, die sich nicht zuletzt Schröders publikumswirksamen Eingreifen bei der Elbeflut verdankte, wurde diese Politik mit der Agenda 2010 mit sozialpolitischen Kürzungen, insbesondere der Beschränkung des Arbeitslosengeldes (Hartz IV) verstärkt  fortgeführt.
Außenpolitisch kam es mit der Entscheidung der USA für einen Irakkrieg zur Umorientierung. Schröder stellte sich zusammen mit Frankreich und Russland gegen den Krieg und näherte sich Russland etwas an.
Als Hartz IV zu größeren Protesten und zu Wahlverlusten der SPD führte, trat Schröder vom SPD-Vorsitz zurück. Doch auch sein Nachfolger Müntefering konnte Wahlverluste nicht vermeiden. So wurde 2004 der ehemalige IWF-Vorsitzende Horst Köhler mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP zum Bundespräsidenten gewählt und 2005 kam es zum Verlust der Jahrzehnte dauernden SPD-Mehrheit in Nordrhein-Westfalen. Daraufhin beantragte Schröder Neuwahlen.
 Große Koalition ab 2005
Obwohl die aus der PDS und SPD-Abweichlern hervorgegangene Linkspartei der SPD Stimmen kostete, kam es aber nicht zur schwarz-gelben Mehrheit, so dass Angela Merkel nur durch die Bildung einer neuen Großen Koalition zur Bundeskanzlerin wurde.
Eine ausführliche Darstellung zu Problemfeldern der Geschichte der BRD findet sich online bei der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit: http://www.stmuk.bayern.de/blz/web/200057/index.html

Zur römischen Gesellschaft, Verfassung und Geschichte

Stichpunkte zur römischen Gesellschaft und Verfassung
  Der pater familias (vgl. kyrios des oikos) hat potestas (über Kinder), manus (über Frau und Frauen der Söhne) und dominium (über Sachen).
 Der Magistrat hat potestas (Amtsgewalt) und imperium (militärischen Oberbefehl).
 Der Senat war vor den Ständekämpfen Herrschaftsorgan der Patrizier, danach der Nobilität. Er herrschte durch Autorität. Die hatte er aufgrund des Bedürfnisses der Nobilität nach Anerkennung durch die Standesgenossen. Eifersüchtig wachte er darüber, dass kein einzelner zu mächtig wurde. Die Magistrate waren aufgrund der Annuität und der Erschwerung der Wiederwahl am Aufbau einer Machtposition gehindert.
 Die Volksversammlung war gegliedert in Komitien:
 1. in Kuriatkomitien nach den 30 Kurien (Sippenverbänden)    (ursprünglich, später nur noch für religiöse Zwecke)
 2. in 188 Centuriatskomitien nach dem Zensus (Vermögen)    (davon 98 für die Reichen) zuständig für die Wahl zu den    meisten Ämtern
 3. in 35 Tributkomitien nach den Tribus (Wohnvierteln)    (ursprünglich Kampfinstrument der Plebejer, nachher alle erfassend)
  Bis zum geheimen Wahlrecht (im 2.  Jh.) stimmten die Klienten stets mit ihren Patronen.  Klienten waren arme Bürger, die sich vor Gericht von ihrem Patron vertreten ließen und meist auch wirtschaftlich von ihm abhängig waren.  Historisch waren sie dadurch entstanden,  dass die Rechte der Bewohner neu eroberter Gebiete meist durch den Feldherrn, der das Gebiet erobert hatte, vertreten wurden.
 
 Kurzdarstellung zur Krise der Republik
Pompeius und Cäsar:
In der Krisenzeit der Republik kam es bald dazu, dass einzelne Feldherrn eine besondere Machtstellung gewannen. Pompeius, ein äußerst fähiger Organisator, säuberte in drei Monaten das ganze Mittelmmer von Seeräubern, besiegte gefährliche asiatische Herrscher und die Juden und richtete drei neue Provinzen ein. Crassus, der reichste Mann von Rom, warf erfolgreich einen gefährlichen Sklavenaufstand unter Spartacus nieder. Sie verbündeten sich mit dem jungen Cäsar, dem fähigsten Politiker der Popularen, zu einem Triumvirat (Dreimännerherrschaft). Dieser eroberte in acht Jahren Gallien. Als er Land für seine Soldaten forderte, ging der Senat im Vertrauen auf das Heer des Pompeius nicht darauf ein. Cäsar begann einen Bürgerkrieg und besiegte Pompeius und alle seine Anhänger. Danach machte er sich zum Diktator auf Lebenszeit. Er gab vielen Bauern Land in "Kolonien" (Siedlungen) außerhalb Italiens. Er ließ viel in Rom bauen und ließ den Kalender reformieren (365 Tage). Die Anhänger der Republik lehnten seine Herrschaft ab. So wurde er am 15.3.44 v. Chr. während einer Senatssitzung ermordet.
  Von Oktavian zu Augustus:
  Die Anhänger Cäsars, vor allem sein Unterfeldherr Markus Antonius und sein Adoptivsohn Oktavian, besiegten die Cäsarmörder.  Darauf erhielt Oktavian die Westhälfte des Reiches,  Markus Antonius den reichen Osten mit Ägypten  zugesprochen. Bald aber kam es auch zwischen ihnen zum Machtkampf,  in dem Oktavian der Sieger blieb.  Oktavian machte sich beim Senat beliebt,  indem er offiziell alle Ämter niederlegte und die Republik wiedereinführte.  Aus Dankbarkeit gab ihm der Senat den Ehrentitel Augustus und alle Macht, die Augustus forderte. Offiziell blieb Augustus nur ein wichtiger Senator. Aber er hatte den Oberbefehl über fast alle Provinzen,  in denen Soldaten standen.  Deshalb hatte er dann auch die Autorität, dass der Senat nichts mehr gegen seinen Willen beschloß.  Was offiziell die Wiederherstellung der Republik war,  wurde so zum Beginn der Kaiserzeit.
 
   Vom Prinzipat zum Dominat
  Das Prinzipat:
 Cäsar war zwar nicht nur ein genialer Feldherr, sondern auch ein hervorragender Politiker; die neue Art der Herrschaft, die er an die Stelle der Republik setzen wollte, erwies sich aber nicht als lebensfähig. Oktavian/Augustus lernte aus dieser Erfahrung und behielt nach außen hin die Form der Republik bei. Er verzichtete auf das Amt des Diktators auf Lebenszeit und baute ganz auf seine Autorität innerhalb des Senats und auf die Macht, die ihm durch die Herrschaft über alle Randprovinzen und damit etwa 90% des Heeres zukam. Darüber hinaus brauchte er nur die traditionellen Amtsbefugnisse traditioneller Ämter: Volkstribun war er auf Lebenszeit, Konsul war er nicht ständig, aber immerhin 13mal; außerdem war er mehrmals Censor. Da er auf die Sondervollmachten eines Diktators (wie bei Cäsar) und eines Triumvirn (wie sie nach Cäsars Tod fast durchweg bestanden hatte) verzichtete, konnte er den Beginn seiner Alleinherrschaft offiziell in die Form einer Rückkehr zur Republik kleiden. Diese Form der Alleinherrschaft, die fast ganz mit dem Instrumentarium der Republik verwirklicht werden konnte, nennt man Prinzipat.
  Das Dominat:
 Als das Reich durch Angriffe von außen immer stärker gefährdet wurde und die Herrschaft der Kaiser nicht mehr zureichend durch die Friedenssicherung legitimiert wurde, griffen die Kaiser auf eine religiöse Legitimierung zurück, wie sie im Ostteil des Reiches aufgrund der orientalischen Tradition schon länger üblich war, und verlegten das Machtzentrum in den Osten. Sie ließen sich als Stellvertreter Gottes auf Erden oder gar selbst als Gott feiern und  nahmen  den ständigen Titel "Herr und Gott" ("dominus et deus") an. Da Menschen in Notzeiten ohnehin mehr zur Religiosität neigen,  kam die religiöse Komponente an sich gut an;  allerdings kam es dadurch zum Konflikt mit Religionen,  die den Kaiser nicht als Gott anerkannten, vor allem mit der christlichen.  Zu systematischen Christenverfolgungen kam es  daher  erst  in  dieser Zeit, beginnend unter dem Kaiser Decius.
 
  Die Verwaltung der Provinzen
 Bis zum Ende kam das römische Reich mit einem für moderne Verhältnisse unvorstellbar kleinen zentralen Verwaltungsapparat aus. Der Grund lag daran, dass die Provinzen recht selbständig von Proconsuln oder Prokuratoren (vgl. "Landpfleger Pontius Pilatus") verwaltet wurden. Innerhalb der Provinzen hatten dann wieder die Städte weitgehende Selbstverwaltung. Zu den Städten gehörte allerdings immer auch ein ziemlich großes Umland, in der Größe eher einem französischen Departement als einem deutschen Kreis ähnlich.
  Die politische Elite, die in den Städten entstand, hatte bei der Ausübung ihrer Ämter erhebliche finanzielle Privatleistungen zu erbringen. (Bezahlung gab es wie bei allen römischen Ämtern ja sowieso nicht.) Dafür hatte sie allerdings die Chance, bei ihren Kontakten mit der Zentralverwaltung des Kaisers dort positiv aufzufallen und in die Zentrale aufzusteigen. Viele römische Kaiser stammten aus der Provinz. Eine Gelegenheit für einen Besuch Roms ergab sich z.B., wenn eine Gesandtschaft der Städte sich beim Kaiser über einen Prokonsul/Prokurator beschwerte